07 / 07 / 2022 13:51h

Erwartungslücke

Erwartungslücke

Der Begriff Erwartungslücke (Expectation Gap) stammt aus dem Bereich des wirtschaftlichen Prüfungswesens.

Der Begriff Erwartungslücke (Expectation Gap) stammt aus dem Bereich des wirtschaftlichen Prüfungswesens. Er bezeichnet das bei der Prüfung eines Jahresabschlusses durch einen Wirtschaftsprüfer auftretende Phänomen, dass die Erwartung der Öffentlichkeit oder der Eigentümer bezüglich der Leistungen des Prüfers von dessen tatsächlichem gesetzlichen Auftrag abweichen kann.

Ziel einer Abschlussprüfung ist es, mit hinreichender Sicherheit zu beurteilen, ob bei der Erstellung des zu prüfenden Abschlusses sämtliche relevanten Rechnungslegungsnormen beachtet wurden. Es ist hingegen explizit nicht Aufgabe des Prüfers, ein Urteil über die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens abzugeben. Somit kann auch der Abschluss eines wirtschaftlich schlecht gestellten Unternehmens mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehen werden, sofern dessen Vermögens-, Finanz- und Ertragslage im Abschluss zutreffend abgebildet ist. Allerdings hat der Prüfer die Erfüllung der Going-Concern-Annahme zu überprüfen, da die Bewertung der in der Bilanz angesetzten Vermögensgegenstände und Schulden andernfalls nicht zu fortgeführten Anschaffungskosten (im Falle einer Rechnungslegung nach Obligationenrecht), sondern zu Liquidationswerten vorgenommen werden müsste. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Abschlussprüfung aus ökonomischen Erwägungen stets ein risikoorientierter Prüfungsansatz zugrunde liegt, d. h. keine Vollprüfung des Prüfungsgegenstands vorgenommen wird. Der Prüfer kann also nur mit hinreichender Sicherheit zu einem Prüfungsurteil gelangen und das Restrisiko eines nach wie vor fehlerbehafteten Abschlusses trotz absolut sorgfältiger und normenkonformer Prüfungsdurchführung nie ausschliessen. Auch ist die Abschlussprüfung keine gezielte Unterschlagungsprüfung mit dem Ziel, Vermögensschädigungen aufzudecken. Die Abschlussprüfung ist mit einer kritischen Grundhaltung zu planen und durchzuführen, der Prüfer kann jedoch von der Echtheit der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen ausgehen, solange keine gegenteiligen Nachweise bestehen. Der Einsatz forensischer Prüfungshandlungen ist daher nicht erforderlich.

In der Vergangenheit konnte insbesondere nach dem Auftreten schwerwiegender Rechnungslegungsverstösse, die vom Abschlussprüfer nicht aufgedeckt wurden (sog. Bilanzskandale), beobachtet werden, dass seitens der Öffentlichkeit ein zuvor erteilter uneingeschränkter Bestätigungsvermerk als Garantie für ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen angesehen wurde. Kam es dennoch zu einer Unternehmensschieflage oder einem Unternehmenszusammenbruch, wurde daraus oftmals ein Fehlverhalten des Prüfers abgeleitet.

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